
EINLEITUNG
Wir alle transformieren uns ständig
Was kommt dabei heraus, wenn der Godfather der Minimal Music (das ist Philip Glass) eine Kammeroper mit einem Alien komponiert, dieser Stoff einer queeren Perspektive unterzogen und mit einem rein weiblichen FLINTA+-Cast auf die Bühne gebracht wird? Für Regisseurin Paige Eakin Young war von Anfang an klar: Keine klassische SiFi-Geschichte und auch nicht irgendeine Metapher auf unsere Gesellschaft. Sondern vielmehr eine erotische Space Opera über Liebe, Fürsorge, Verletzlichkeit, Sichtbarkeit und T4T, geschaffen von einer ausschließlich aus FLINTA+ bestehenden Besetzung sowie von Performerin und Musikerin Mara Snip als enge Komplizin.
T4ET
T4T (Trans for Trans) ist eine Abkürzung, die in den 2000er Jahren in Kontaktanzeigen auf Craigslist aufkam. Anfangs verwendet, um das Verlangen und die romantischen Beziehungen zwischen Transsexuellen zu bezeichnen, wird T4T heute in einer deutlich weiteren Bedeutung gebraucht, um jede Art und Weise zu beschreiben, wie Transsexuelle einander lieben, unterstützen, miteinander in Verbindung treten und füreinander sorgen – in einer Welt, die Transsexuellen gegenüber oft feindselig und gewalttätig ist. T4T umreißt auch, was die Regisseurin Paige Eakin Young und die Darstellerin und Mitgestalterin Mara Snip – beide Transfrauen – mit ihrer Interpretation von Philip Glass‘ und David Henry Hwangs 1.000 AIRPLANES ON THE ROOF erreichen wollen: „Ich wollte mich selbst auf der Bühne, meine eigenen Erfahrungen irgendwie widergespiegelt sehen. Einen Transkörper sehen, mit dem ich mich identifizieren kann,“ so Paige Eakin Young. „Dieses Stück ist T4T, weil es eine Zusammenarbeit zwischen Mara und mir ist, aber auch, weil wir es (auf einer bestimmten Ebene) so gestaltet haben, dass es die Liebe und Fürsorge reflektiert, die wir selbst von der Queer- und Transgender-Community erfahren haben. Es geht um Verbindung, Sehnsucht und Anerkennung, mit viel Lust und, ganz wichtig: mit Außerirdischen. Also ist es letztendlich T4ET!“
1.000 AIRPLANES ON THE ROOF wurde 1988 uraufgeführt und porträtiert eine Frau namens M., die von Außerirdischen entführt wird. M. berichtet von ihren Begegnungen mit den Aliens in Form eines Sprechtextes, der über die repetitive, minimalistische Musikkomposition von Philip Glass gelegt ist. Paige Eakin Young: „Als ich mit der Arbeit an dem Stück begann, hatte ich ganz andere Vorstellungen davon, was ich damit machen wollte. Nachdem ich Mara gecastet hatte, musste ich diese Ideen verwerfen und mit Mara ganz neu denken. Ihre Praxis als Performerin wurde zum Ausgangspunkt und Anker meiner Inszenierung. Je mehr Mara ihre eigene Geschichte einfließen ließ, desto mehr konnte ich mich in dem Stück wiedererkennen.“
Verbindung und gegenseitiges Verständnis
Mara und Paige wurden während der Proben Freundinnen. Es entwickelte sich eine Zusammenarbeit, die sowohl für Paige als auch für Mara neu war. Mara Snip: „Unsere Verbindung und unser gegenseitiges Verständnis sind das Herzstück der Performance. Meine Arbeit entsteht immer aus tiefen persönlichen Erfahrungen heraus und ich bin es gewohnt, diese mit dem Publikum zu teilen. Meine Stärke ist meine Verletzlichkeit, die sich auch sehr einsam anfühlen kann. In diesem Stück muss ich nicht alles alleine tragen. Paige ist da, um mich aufzufangen und zu halten. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Paige mich sieht und wir diese kraftvolle Geschichte gemeinsam erzählen. Wir teilen die gleiche Vision, können aber auch ziemlich stur sein. Ich vertraue Paige, ich kann ehrlich sein. Wir können beide sagen: ‚Das passt nicht. Warte, lass mich das versuchen.‘ Es gibt einen ständigen Austausch, was mir große Freude bereitet.“
Diese Freude wird ebenfalls geteilt. Paige Eakin Young: „Wir machen uns immer wieder darüber lustig, dass das Stück eine intergalaktische lesbische Weltraumoper ist. Aber es steckt auch Wahrheit darin. Es hat viel Kraft, begehrt zu werden. Akzeptiert zu werden. Durch Intimität. Mara ist auf der Bühne superheiß. Sie ist großzügig und zeigt sich wirklich verletzlich.“ Die Inszenierung handelt davon, Zeuge von etwas zu sein und gesehen zu werden. Inhaltlich, aber noch viel mehr in der Art und Weise, wie sie versucht, die Perspektive des Publikums herauszufordern. Wie oder wen begehren wir? Was empfinden wir als fremd und anders? Und was sagt uns das über unsere eigene Perspektive? Mara: „Nur durch die Queer-Community und die Lebenserfahrungen von Trans-Menschen kann ich mich jetzt selbst sehen. Es geht darum, die Cis-Perspektive zu verlernen. Wenn ihr mich fragt, befinden wir uns alle ständig im Wandel, und ist das nicht das Schöne am Leben?“
die musikalische umsetzung
Unser Konzept für 1.000 AIRPLANES ON THE ROOF wurde ganz grundlegend durch die Entscheidung geprägt, Mara Snip als Hauptdarstellerin zu besetzen. Nachdem Regisseurin Paige Eakin Young eine Solo-Performance von Mara Snip in Rotterdam gesehen hatte, beschloss sie, Mara in den Mittelpunkt der Produktion zu stellen: Maras persönliche Geschichte als Transfrau sowie die Schönheit ihrer Stimme, die sie mit Hilfe einer Loop-Station übereinanderschichtet und dadurch gewissermaßen transzendente Harmonien erzeugt (Moderner Minimalismus!).
Die Originalpartitur sieht eine Sopranistin vor, die im Wesentlichen als Instrument im Orchester fungiert. In unserer Version ist die Sopranistin – Sarah Bodle – eine voll ausgearbeitete Figur: ein außerirdisches Wesen, das Mara ruft und ihr hilft, die Wahrheit über sich herauszufinden. Es war spannend für mich, diese Figur gemeinsam im Probenraum – auch musikalisch – zu entwickeln, also wie sie „spricht“ bzw. singt, zumal es in der Partitur kaum musikalische Anweisungen für die Sopranpartie gibt, geschweige denn im Libretto. Wir spielten mit verschiedenen Vokalen, Stimmqualitäten und Dynamiken, um herauszufinden, wie das außerirdische Wesen in verschiedenen Momenten mit Mara kommuniziert und sich mit ihr verbindet.
Schließlich erweiterten wir das Team um ein fünfköpfiges FLINTA*-Orchester, das zwei Synthesizer und eine Vielzahl von Holzblasinstrumenten umfasst. Minimal Music beginnt mit sehr kleinen und scheinbar einfachen musikalischen Komponenten – einer Folge von Blockakkorden, einem Arpeggio, einer kurzen Melodie – und wird schließlich durch Wiederholung, Überlagerung und Looping zu einem komplexen Gefüge, das immer wieder z. B. durch ungleichmäßige Phrasen und Taktwechsel unsere Erwartungen durchkreuzt. Eine der größten Paradoxien beim Aufführen dieser minimalistischen Partitur besteht darin, dass die Musiker hochkonzentriert sein und sorgfältig zählen müssen, um das Publikum in eine Art Trance zu versetzen, um es zum „Abheben” zu bringen. Wir konzentrieren uns sehr, damit das Publikum sich ganz der Musik hingeben und selig Zeit und Raum vergessen kann. Das Ergebnis fühlt sich eher wie ein Rockkonzert als wie eine Oper an, besonders wenn wir in der letzten Sequenz – der Begegnung mit den Außerirdischen – den Bass aufdrehen.
Schalten Sie Ihre Handys für eine Stunde aus und begleiten Sie uns auf einer intergalaktischen Reise!
BETEILIGTE
REGIE Paige Eakin Young CO-REGIE Mara Snip KOMPOSITION Philip Glass TEXT David Henry Hwang MUSIKALISCHE LEITUNG Sarah Taylor Ellis CHOREOGRAPHIE Julia B. Laperrière, Friederike Heine DRAMATURGIE Anne van de Wetering AUSSTATTUNG Ana Ines Jabares-Pita LICHTDESIGN Catalina Fernandez REGIEASSSISTENZ/PRODUKTIONSLEITUNG Anika Stauch/Morghan Welt
MIT
Mara Snip und Sarah Bodle und den Musikerinnen Sarah Taylor Ellis, Karola Elßner, Alba Gentili-Tedeschi, Holly Volker Schlott, Rachel Susser
TECHNISCHE PRODUKTIONSLEITUNG Helmut Topp TON Ronald Dávila Dávila LICHT Ralf Arndt ABENDTECHNIK TON Sören Schwedler, Sebastian Vivas, Klim Losovsky, Ronald Dávila Dávila, Michael Tuttle, Stefan van Burg ABENDTECHNIK LICHT Ralf Arndt, Moritz Meyer, Jens Tuch BÜHNENBAU Gregor von Glinski, Marc Schulze, Rui Wegener, Ralf Mauelshagen, Pet Bartl-Zuba, Anne Wundrak KOSTÜMABTEILUNG Christina Kämper (Leitung), Kathy Tomkins EINRICHTUNG ÜBERTITEL Renée Stulz OPERATOR ÜBERTITEL Renée Stulz, Kathrin Grzeschniok, Anaise Kliemann, Lena Wetzel MASKE Anne-Claire Meyer ABENDSPIELLEITUNG Sophie Reavley, Regina Triebel ABENDSERVICE LTG Vanda Hehr
BIOGRAFIEN
Paige Eakin Young – regie

Paige ist eine in Kanada geborene Regisseurin und kreative Geschichtenerzählerin mit Wohnsitz in London. Sie hat sich auf interdisziplinäre Projekte spezialisiert, insbesondere auf musik- und klangbasiertes Geschichtenerzählen.
Als Regisseurin verbindet ihre Arbeit eine raffinierte und minimalistische visuelle Ästhetik mit reichhaltigem Sounddesign und vielschichtiger musikalischer Erzählung. Sie arbeitet in den Bereichen Oper, Musiktheater, szenische Konzerte, Live-Auftritte und textbasiertes Theater.
Als Autorin kreiert sie in Zusammenarbeit mit einem Kernteam kreativer Partner Klangtheaterstücke und Installationen, die Musik, Tanz, Text und Bilder kombinieren.
Als Kollaborateurin arbeitet Paige als Dramaturgin und künstlerischer Vermittlerin. Sie unterstützt Künstler und Unternehmen bei der Konzeption interdisziplinärer Projekte, baut Beziehungen zwischen verschiedenen künstlerischen Partnern auf und trägt dazu bei, kreative Prozesse mit Schwerpunkt auf konzeptioneller Klarheit und Storytelling zu fokussieren.
Paige war von 2007 bis 2019 künstlerischer Leiterin von ERRATICA. Sie arbeitete unter anderem mit dem Royal Opera House, der Guildhall School of Music and Drama, dem Victoria and Albert Museum, dem Coronet Theatre in London und dem Metropolitan Museum in New York zusammen. Ihre Produktionen und Projekte wurden in New York, Toronto, London, Edinburgh, Rotterdam und Leipzig präsentiert.
SarAH Taylor Ellis – musikalische Leitung/einrichtung

„Eiskönigin trifft auf Kurt Weill“ (Nachtkritik). Ganz gleich, ob es um die Mitarbeit an einem Original-Musical für ein inklusives Theater in Berlin oder eine Hymne für einen Frauenchor geht, der durch New York marschiert, die Komponistin und Dirigentin Sarah Taylor Ellis möchte sich die inhärente Hybridität und Vielfältigkeit des Musiktheaters als Kunstform zu eigen machen. Sarahs Spielzeit 25–26 umfasst die musikalische Leitung von Philip Glass‘ 1000 AIRPLANES ON THE ROOF an der Neuköllner Oper, die Komposition von Miranda Julys Auf allen Vieren an den Sophiensaelen und die Premiere ihres Indie-Folk-Musicals Die Mitte der Welt am Landestheater Linz. Sarah ist eine regelmäßige Mitarbeiterin der Musiktheatergruppe glanz&krawall; Nach einer von der Kritik gefeierten und ausverkauften Uraufführung im Jahr 2024 spielt ihr Bürokratie-Musical mit dem Theater Thikwa – Die Tüten aus der Verwaltung – das Festival Politik im Freien Theater 2025 und kehrt im November und März nach Thikwa zurück. Sarahs hybrides Opern-Musical Die Troerinnen wurde mit einem OPERA America Discovery Grant ausgezeichnet, und sie erhielt die Goldene Feder für ihre herausragende Lehrtätigkeit und Betreuung von Studierenden der Musiktheaterwissenschaft an der Universität Bayreuth. Sie hat einen Ph.D. in Theater- und Performancewissenschaften von der UCLA und einen B.A. in Theaterwissenschaften/Musik und Englisch von der Duke University und besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft Deutschlands und der USA. www.staylorellis.com
Anne van de wetering | dramaturgie

Anne van de Wetering (geb. 1987) ist Dramaturgin, Autorin und Programmgestalterin. Nach ihrem Studium der Literatur- und Performancewissenschaften an der Universität Amsterdam und der Freien Universität Berlin arbeitete sie für Festivals wie Oerol, O Festival Rotterdam und Tilt Literary Festival. Als Hausdramaturgin und Librettistin des Rotterdamer Musik- und Performancekollektivs Club Gewalt und der Neuköllner Oper in Berlin verkörpert sie ihre tiefe Liebe zum Geschichtenerzählen, eine starke Abneigung gegen Ungerechtigkeit und ihr Interesse an kollektiven und kollaborativen Arbeitsmethoden. Sie lebt mit ihrer Katze und einer umfangreichen Sammlung von Science-Fiction- und Fantasy-Büchern in Rotterdam.
ana Inés Jabares-Pita – Ausstattung

mara snip – m., co-regie

Sarah Bodle – sopran

Sarah Bodle, Sopranistin, wuchs in Kansas, USA, auf und war schon in jungen Jahren in die lokale Musiktheaterszene eingebunden. Nach ihrem Opernstudium an der University of Kansas fühlte sie sich nach Berlin berufen und erfand sich in der sinnlichen Welt von Burlesque und Drag neu, wo sie die Geschlechterrollen tauschte und Opernschönheit mit der rohen Energie queerer Freude kollidieren ließ. Als leidenschaftliche interdisziplinäre Performancekünstlerin tritt sie unter ihren Burlesque- und Drag-Alter-Egos auf (IG: @twin_sapphires). Sie ist Gründungsmitglied des Opern-Drag-Trios The Three Drag Tenors, das regelmäßig in verschiedenen beliebten queeren Veranstaltungsorten Berlins auftritt. In dieser Saison gibt Sarah ihr Debüt an der Neuköllner Oper in Philip Glass’ 1000 Airplanes on the Roof. 2023 trat sie in Cabaret Chouchou (Dresden & Bremen) auf, einem kollaborativen Performance-Kunstwerk, das queere Sinnlichkeit erforscht. Neben Oper, Musiktheater, Burlesque und Drag trainiert Sarah auch Aerial Hoop und hat einzigartige Gesangs-Aerial-Solo-Acts geschaffen. Zu den früheren Gesangsauftritten zählen: Königin der Nacht & Papagena/ Die Zauberflöte mal anders/ Dresdner Residenz Konzerte, Olympia/ Les Contes d’Hoffmann/ Passagio Oper (Berlin), Martha (Cover)/ Martha, oder der Markt zu Richmond/ Kammeroper Schloss Rheinsberg, Despina/ Così Fan Tutte/ Clyde Opera Group (Glasgow), Fraülein Kost/ Cabaret/ Des Moines YA Theater (IA, USA). www.sarah-bodle.com
1000 AIRPLANES ON THE ROOF wird präsentiert von ![]()