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Programmheft Schöner Wohnen

© Thomas Koy

Die Protagonist*innen Erna und Daniel befinden sich zwischen den Jahrhunderten – die 1920er und 2020er prallen aufeinander und können nicht mehr voneinander getrennt werden. Daniels Welt besteht aus dem Streben nach extremer individueller Freiheit und digitaler Körper- und Wurzellosigkeit. Erna baut Preußische Kartoffeln an und will an die Vereinigung der Proletarier*innen aller Länder glauben.

Während Daniel den Ausweg aus Armut und Wohnungsmangel ganz nach Heidegger im optimierten Mindset sieht, dreht Erna jeden Pfennig zweimal um. Und während Daniels Einsamkeit evident ist, kann Erna nicht einmal allein sterben.

Änne-Marthe Kühn, Dramaturgie

Keine Zeit, Kein Raum

Keine Zeit
Keine Zeit
Keine Zeit!

SCHÖNER WOHNEN ist nicht nur ein Stück über den (Wohn-) Raum, sondern auch ein Stück über die Zeit. Die Zeit, die sich verzerrt, sich krümmt genau wie der Raum, und die länger oder kürzer erscheint, je nachdem, wie viele einzelne Ereignisse innerhalb eines Zeitfensters erlebt werden (müssen). Die Entstehungsphase von SCHÖNER WOHNEN fiel in die Jahre 2020 bis 2022. Sie wurde zum Inbegriff von neuer Zeit- und Raumwahrnehmung. Was als Fiktion gedacht war, verdichtete sich in die Realität hinein.

Denn auf einmal erfuhr mit dem überall praktizierten Homeoffice weltumfassend jede*r Angestellte mit PC-Arbeit, was es heißt, wenn privater Raum und Arbeitsraum, Freizeit und Arbeitszeit bis zur Grenzenlosigkeit verschmelzen. Gleichzeitig sank der Bewegungsradius –das Zuhause wurde für viele Monate zur einzig wahren Lebenswelt – während der Kommunikationsradius wuchs: Durch Videokonferenzen vergrößerte sich der Blick in die intimen Orte der Kolleg*innen und löschte gleichzeitig reale Distanzen aus, wenn aus Berlin, Chicago, Medellín und Genua gleichzeitig an einem Projekt gearbeitet wurde.

Schöne neue Arbeitswelt

Homeoffice, Homeoffice, macht Dich erst frei!
Heimarbeit, Heimarbeit, niemals vorbei…

Im Rahmen unserer (post-) pandemischen Wirklichkeit stellen sich die Fragen nach Arbeit und Freiheit auf neue Weise. Amy Stebbins untersucht sie in SCHÖNER WOHNEN gleichermaßen philosophisch wie humoristisch – nach Motiven von Ernst Bloch, Dennis Freischlad, Martin Heidegger, Marie Kondo, Rosa Luxemburg, Elon Musk, Jean Paul und Kurt Tucholsky.

Inspiration für das Stück sind aber auch Positionen wie die des libertären, rechtsorientierten Milliardärs und Politaktivisten Peter Thiel. Er beschreibt die 1920er-Jahre als „das letzte Jahrzehnt, in dem die Politik noch optimistisch betrachtet werden konnte.“ Danach hätte eine wachsende Gruppe von Sozialhilfeempfänger*innen und die Ausweitung des Wahlrechts auf Frauen dafür gesorgt, dass die Idee einer „kapitalistischen Demokratie“ ein Widerspruch in sich geworden wäre. Statt demokratischer Partizipation sieht er die zukünftige Gesellschaft in den quasi-despotischen Händen von monopolistisch agierenden Unternehmen.

Dem gegenüber stehen Ideen der „New Work“, ursprünglich in den 1980er Jahren als Gegenentwurf zur kapitalistischen, aber auch sozialistischen Lohnarbeit entwickelt: Flache Hierarchien, 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, Jobsharing, etwa um sich eine Führungsposition zu teilen, offene Fehlerkultur, selbstbestimmtes Lernen. In SCHÖNER WOHNEN zeigt Regisseurin und Autorin Amy Stebbins zur Satire überzeichnet, wie diese „schöne neue Arbeitswelt“ der Selbstbestimmung, vom Kapitalismus einverleibt, genauso schnell in Selbstausbeutung münden wie auch soziale Ungerechtigkeit zuspitzen kann. Während Daniel verzweifelt versucht, die reizüberflutenden Verheißungen seines Homeoffice zu genießen, begrenzt Ernas prekäre Heimarbeit ihre Möglichkeit zu Pause, Freizeit, Nahrungsaufnahme, Schlafen auf acht Stunden am Tag.

Mit elektronischem Pop-Sound, Chansons und Liedern sowie pianistischer Stummfilm-Begleitung mit Anklängen der 20er Jahre aus Sir Henrys Feder begeben wir uns auf die Reise in eine Zeit zwischen den Zeiten. Und im Gewand seiner Musik fragt SCHÖNER WOHNEN mit Kurt Tucholskys Worten schließlich:

„Bietet denn das Leben nicht uns allen Wonne?“
spricht der bürgerliche Philosoph
„Da ist euer Frühling, da ist eure Sonne!“
Euer Frühling . . . Quergebäude, vierter Hof!

(Die Sonne, Kurt Tucholsky, 1914)

Beteiligte

TEXT, REGIE Amy Stebbins KOMPOSITION Sir Henry DRAMATURGIE Änne-Marthe Kühn AUSSTATTUNG Belén Montoliú CHOREOGRAPHIE Marie-Christin Zeisset VIDEO Valle Döring

MIT
Patrik Cieslik, Claudia Renner, Sir Henry

TECHNISCHE PRODUKTIONSLEITUNG Helmut Topp TON Ronald Dávila Dávila LICHT Ralf Arndt ABENDTECHNIK Ralf Arndt, Torsten Litschko, Erik Pade BÜHNENBAU Ralf Mauelshagen KOSTÜMABTEILUNG Kathy Prell (Leitung), Christina Kämper MASKE Anne-Claire Meyer ABENDSPIELLEITUNG Seda Güngör, Sophie Reavley PROGRAMMHEFTREDAKTION Clara Fandel, Änne-Marthe Kühn

Biografien

Amy Stebbins | Text, Regie

© P.S. Zoeller

Amy Stebbins ist Regisseurin und Autorin. Nach dem Studium an der Harvard University, landete sie über ein Fulbright Stipendium an der Berliner Volksbühne. Seit 2014 Uraufführungen für die Bayerische Staatsoper, Staatstheater Augsburg, Deutsche Oper Berlin, dem Theater Hildesheim und demnächst an der Oper Frankfurt. Promotion 2018 in Germanistik und Film- und Medienwissenschaft an der University of Chicago. Im selben Jahr gründete sie mit dem Komponisten Hauke Berheide New Opera Dialogues, eine internationale Austauschplattform für zeitgenössische Opernschaffende.

Sir Henry | Komposition, Musikalische Leitung, Der UNbehauste

© Matthias Richter

Sir Henry (John Henry Nijenhuis) erhielt ab seinem siebten Lebensjahr eine klassische Klavierausbildung. Sein B.A. am King‘s College in Halifax in Kanada umfasste abendländische Philosophie, Geschichte, Theologie, elektroakustische Musik und Computerwissenschaften. Nachdem er 1996 auf Einladung der Akademie der Künste nach Berlin kam, um beim Festival Sonambiente aufzutreten, ist er bis heute musikalischer Leiter und Komponist an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Sir Henry arbeitet regelmäßig mit Alexander Kluge zusammen und kreiert seit 2018 interaktive Musik und CGI-Installationen.

Belén Montoliu | AUSSTATTUNG

© Privat

Belén Montoliú, geboren in Madrid, studierte Bildende Kunst in Madrid, Kostümbild an der UdK Berlin und Theater- und Musikmanagement an der LMU München. Seit 2006 arbeitet sie als freischaffende Kostüm- und Bühnenbildnerin mit Regisseur*innen wie Miriam Tscholl, Marguerite Donlon, Marco Carniti, Amy Stebbins u.a. Von 2016 bis 2018 war sie Kuratorin der Festspiele Zürich. Engagements führten sie u. a. an die Deutsche Oper Berlin, an das Nationaltheater Madrid, an das Teatros del Canal Madrid, an das Staatsschauspiel Dresden, und die Bayerische Staatsoper sowie an Festivals wie Politik im Freien Theater in Dresden, Kunstenfestivaldesarts in Brüssel, das Festival de Otoño in Madrid und das Berliner Theatertreffen.

Änne-Marthe Kühn | Dramaturgie

© Kimi Palme

ist freie Dramaturgin, Librettistin und Produzentin. Ihre letzten Engagements brachten sie u.a. an die Akademie der Künste Berlin, den Gare du Nord Basel und an die Staatsoper Hannover. Im Rahmen von BTHVN2020 gab sie mit der Chorakademie Dortmund ein Kompendium zeitgenössischer Chorwerke heraus. Aktuell ist sie für die Neuköllner Oper Berlin tätig, wo sie Programm- und Stückentwicklungen und zuletzt als Autorin die Produktionen LILI, NEUE LIEDER VON DER ERDE und ICH HEB‘ DIR DIE WELT AUS DEN ANGELN mit verantwortete.

Valle DöHring | Video

© Privat

ist freischaffender Videokünstler und Kameramann in Leipzig. Er arbeitet u.a. für das Schauspielhaus Graz, Theater der jungen Welt Leipzig, Neuköllner Oper, Puppentheater Zwickau, sowie in freien Projekten. Sein Diplom der Medienkunst legte er 2020 an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe mit dem Schwerpunkt audiovisuelle Medien/Film ab. 2018 verbrachte er ein Auslandsjahr in Reykjavik an der Musikakademie Islands (LHI), um sich intensiv mit Musik und Klang zu befassen.

Marie-Christine Zeisset | ChOREOGRAFIE

© Privat

Die Stepptänzerin, Choreographin und Pädagogin Marie-Christine Zeisset begann nach einer klassischen Ballettausbildung zu steppen und hatte bei Einladungen zu Festivals in den USA das Glück, von namhaften Stepptänzern wie den Nicholas Brothers, Donald O’Connor, Henry LeTang sowie Savion Glover zu lernen.

Neben diversen Auftritten für verschiedenste Events und Theater-Produktionen in Europa, den USA und Asien, war sie mit „Magic Of The Dance”, „Rhythm, Drum & Dance” und mit „Flames of the Dance” auf Europatournee. Ab 2002 arbeitete die gebürtige Berlinerin mehrere Jahre als Trainerin und Choreographin für den Friedrichstadtpalast, wo sie für die Weihnachtsrevue „Jingle Bells” auch als Steppsolistin engagiert war. Sie choreografierte für das MDR Fernsehballett und steppte mit Andrej Hermlin und dem Swing Dance Orchestra, der Jungen Symphonie Brandenburg und den London Shirt Tail Stompers.

Marie-Christin arbeitete mit Hannelore Elsner für Oscar Röhler‘s Film„ Fahr zur Hölle, Schwester” und choreografierte u. a. die Musikvideos „Gekommen, um zu bleiben” (Wir sind Helden), „Drück die Eins” (Annett Louisan) und „L-O-V-E” (Nena, Boss Hoss, Matthias Schweighöfer für „Rubbel die Katz”). Dazu kommen Kurzfilme „Irgendwo in Berlin” (Rosenstolz), „Titus & Alfonso” sowie unter der Regie von Tobias Bonn die Andrews Sister Revue „Sisters Of Swing” am Deutschen Theater Göttingen und „Die Csardasfürstin” am Theater am Domhof Osnabrück. 2015 folgte für die Konzertdirektion Landgraf die Choreographie zu „Kiss me, Kate!” unter der Regie von Hardy Rudolz. Ihre Choreographie für die Uraufführung von Peter Lunds „Stella” an der Neuköllner Oper (Regie: Martin G. Berger) wurde für den Dt. Musicalpreis 2016 nominiert. 2017 choreographierte sie die Steppnummern für „Me and my Girl” (Regie: Kay Link) an den Theatern Vorpommern, für den Musicalpreis 2017 im Wintergarten Berlin das Opening für Gayle Tufts, stepp-coachte Lars Eidinger und Bjarne Mädel und arbeitete für das Leipziger Ballett.

Marie-Christin hat in Berlin ihr eigenes Studio und konnte mehrfach Kinder an den Friedrichstadtpalast, das Berliner Ensemble und andere Produktionen vermitteln. Seit dem Wintersemester 2016/17 ist sie Stepp-Dozentin an der UdK Berlin.

Patrik Cieslik | Daniel

© Sven Serkis

Patrik Cieslik, geboren in Heinsberg, schließt sein Studium an der Universität der Künste Berlin im Jahr 2014 ab, woraufhin Engagements auf Bühnen in ganz Deutschland folgen. In seiner Wahlheimat Berlin spielt Patrik unter anderem am Wintergarten Varieté, der Bar jeder Vernunft und ist für fünf Jahre festes Ensemblemitglied des Grips Theaters Berlin (u. a. Bambi in Linie 1 und IKARUS-Preisträger mit Dschabber). Zuletzt war er im Theater des Westens in Ku’Damm 56 – Das Musical als Joachim Franck zu sehen. Nachdem Patrik zuletzt 2013 zwei Uraufführungen mit STIMMEN IM KOPF (R.: Peter Lund) und SARG NIEMALS NIE (R.: Dominik Wagner & Jörn‐Felix Alt) auf den hiesigen Bühnen spielen durfte, ist er nun mit SCHÖNER WOHNEN nach fast 10 Jahren wieder zurück an der Neuköllner Oper.

Claudia Renner | Erna

© Annemone Taake

Nach ihrem Schauspielstudium holte Ulrich Khuon Claudia Renner ans Thalia Theater. Dort arbeitete sie viel mit Andreas Kriegenburg (Hexenjagd, Unschuld, Bernada Albas Haus), aber auch mit Stephan Kimmig (Penthesilea) u.v.a. Später wechselte sie ans Stuttgarter Staatstheater, wo sie z.B. Rosalind in Wie es euch gefällt (Th. Dannemann) oder in Nachtasyl (V. Lösch) spielte.
Mittlerweile freischaffend tätig, gastiert sie in verschiedensten musikalischen Produktionen – sie sang die Gräfin in Figaro, Sally Bowles in Cabaret, Kate in Kiss me Kate, aktuell die Elly in Bowies Lazarus sowie Jenny in Brechts Dreigroschenoper.

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